Herr Grün notiert – Von dreckigen sauren Stäbchen, der Klugheit des Lebens und echten Tomaten

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Damit Kinder sich später in der Welt zurechtfinden, spielen sie. So haben sie die Möglichkeit, sich auf den Ernstfall Erwachsensein vorzubereiten. Wieder ein Beweis dafür, dass das Leben sehr klug ist und auch Humor hat, denn wie sonst könnten die kleinen Menschen nicht vorhandenes Schokoladeneis gegen einen halben Eimer Sand und zwei dreckige saure Stäbchen eintauschen.

Dass Kinder aber sehr wohl die Wahrheit von der Unwahrheit unterscheiden können, beweist das berühmte Märchen »Des Kaisers neue Kleider«, in dem der Kaiser immer wieder nicht vorhandene Kleidung anzieht, die der Hof, obwohl die Majestät doch eigentlich nackt ist, in Ehrfurcht lobt. Bis ein Kind den Unsinn entlarvt und »Er hat nichts an! Er hat nichts an!« ruft. Mit diesem Ausruf durchschneidet es in Sekundenschnelle auf befreiende Art das Lügennetz. Hier sind es die Erwachsenen, die ein merkwürdiges Spiel spielen, das allerdings mit Sozialisation oder bezahltem Schauspiel nichts zu tun hat. Vielmehr geht es hier offensichtlich um Täuschung.

Ich lese im Supermarkt auf einer Tüte mit Suppe: Mallorca – Feinschmecker – extra cremig und fruchtig, mit 24 Prozent Tomatenpulver und vielen anderen Ingredenzien, die ich hier nicht alle aufzählen möchte. Ich nehme die Tüte in die Hand und schüttele sie. Es raschelt trocken. Ein Zauber. Ich höre den Sound von fruchtigen Tomaten und spüre die warme Sonne des Südens. Dann muss ich lachen. Ich möchte die Tüte hochhalten, sie wie ein Rhythmusinstrument schütteln und laut rufen: »Es sind keine Tomaten. Es ist nur Pulver. Seht ihr.« Ich müsste mir sicherlich einen anderen Supermarkt suchen. Also lasse ich das.

 

»Sie hat sich unter schwersten Bedingungen nach Europa durchgekämpft.« 

 

Was ist das für ein Spiel, das alle mitspielen? Ich denke, es heißt: »Es muss schnell gehen und soll nicht viel kosten.« Und dann gibt es auch noch: »Das ist halt so – heutzutage.« Ach schade. Dafür hat sich die Tomate doch nicht unter schwersten Bedingungen nach Europa durchgekämpft. Mit Kolumbus ist sie aus Südamerika zu uns gekommen. Im 17. und 18. Jahrhundert galt sie als Kuriosität und als Zierpflanze. Niemand traute ihr richtig. In manchen Haushalten wollte man die Mücken mit ihr vertreiben. Gemein. Aber Ende des 18. Jahrhunderts nahm ihre Anerkennung in der Küche zu. Die »Encyclopædia Britannica« beschrieb den Einsatz der Tomaten als »alltäglich«. 1873 wurden Tomaten auf der Wiener Weltausstellung gezeigt. Offenbar der Durchbruch. Um 1900 gab es die ersten Paradeiser auf den Wiener Märkten. Zur gleichen Zeit wurde sie auch in Deutschland immer bekannter. Gott sei Dank.

Die Tomate ist ein Geschenk der Natur. Sie kann so viel. Man darf ruhig mit ihr spielen. Aber bitte beim Kochen. Sie mag Pasta, Pizza, Suppen, Salate ...  Ah, jetzt lacht sie. 

Und, liebe Tomate, magst du vielleicht ausgetrocknet zwischen Maltodextrin, Hefeextrakt und Säuerungsmittel herumliegen? Mit der Aufschrift »Feinschmecker – cremig und fruchtig«? Ich kann spüren, wie sie heftig ihren Fruchtkörper schüttelt. Nein – das will sie nicht. Aber, was wollen wir? Ich habe mich schon entschieden – mit meiner Tomatensuppe »Apricot« mit Thymian und gepfefferten Walnuss-Aprikosen-Nocken. Das Rezept auf HerrGruenkocht.de

 


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Herr Grün kocht leidenschaftlich. Natürlich. Vegetarisch und manchmal auch vegan. Während des Kochens kommen ihm tausend Dinge in den Sinn. Wie schmeckt Pastinakenpudding? Welche Soße passt gut zu Semmelknödeln? Kann man Milchreis auch mit Mandelmilch kochen? Was haben die Menschen im 12. Jahrhundert gegessen, wenn Besuch kam? Darüber schreibt er in seiner Kolumne »Herr Grün notiert«. Es geht um Erkenntnisse, Wissenswertes, aber auch um ungelöste Fragen.

Neugierig geworden? Hier geht es zu: www.herrgruenkocht.de